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Bei der Nomadin

Isaa empfängt uns lächelnd am Eingang ihres Zeltes. Sie ist eine groß gewachsene Frau. Stämmig. Man sieht ihr die viele harte Arbeit an. So distanziert sie auch ist, sie hat ein freundliches Gesicht. Aus ihren Augen blitzt die Neugier. Sie ist, wie alle Frauen, in lange Gewänder gehüllt. Die Haare sind unter dem langen Stoff verborgen, den sie als eine Art Schleier trägt, der zugleich ihr Umhang ist. Ihr Zelt ist eine andere Welt. Sehr gemütlich und praktisch. Kein einziges Stück ist zu viel denn Nomaden müssen alles mit eigenen Händen tragen. Mit einer einladenden Handbewegung führt sie uns hinein. Die Handgewebte Zeltplane spannt sich über Stützen aus Holz, die teilweise mit Schnitzereien verziert sind und erschafft einen archaisch gemütlichen Raum. Schattig, luftig. Ich fühle mich wie in biblischen Zeiten. Es hat sich wohl kaum etwas verändert seither. Im Eingangsbereich finden sich die Gegenstände des täglichen Lebens. Eine Handmühle, ein Gefäß – ich vermute zum Butterstoßen- verschiedene Blechschüsseln. Ein Feldstecher hängt an einem Nagel und wirkt direkt anachronistisch. Etwas weiter weg sind alle Decken und Matten fein säuberlich zusammengefaltet. Den Boden bildet der Wüstensand, den da und dort Teppiche bedecken.

Isaa bereitet uns Tee. Said und ich machen es uns auf den großen Pölstern gemütlich, die um einen kleinen Tisch herum auf einem Teppich eine Sitzecke bilden, die zum verweilen einlädt.
Tapser und kleine Einbuchtungen vom Zeltdach deuten auf die Zicklein hin, die auf dem Zeltdach rutschen spielen. Auch bei den Ziegen herrscht Geburtszeit und ein gutes Dutzend Zicklein tollen in und um das Zelt herum. Isaas Zweijähriger, Ismael, spielt hingebungsvoll mit ihnen und scheint die Welt um sich vergessen zu haben, bis er vor uns Fremden steht. Gestern habe ich ihn schon beim Brunnen schlafend auf dem Rücken seiner Mutter gesehen. Nun ist er wach und sieht uns mit großen Augen an. Wie viele kleine Kinder, isst Ismael auch gerne Süßes und verteilt genussvoll die getrockneten Datteln in seinem kleinen Gesicht. Doch kommen mit dem süßen Dattelsaft auch die Fliegen auf seine Augen. Der kleine Nomade, Fliegen gewöhnt, lässt ruhig die Fliegen, die vorher im Ziegenkot gesessen sind, auf seinen Augen sitzen. Seine Mutter sieht es zwar, sagt und tut aber nichts. Ich will nicht unhöflich sein und einfach einschreiten, zeige aber dem Kleinen etwas versteckt wie er mit seinen Händchen die Fliegen von seinen Augen verscheuchen kann. Was er auch zunächst schüchtern, dann mit Gelächter und immer öfter tut.

Isaa gesellt sich mit dem Tee zu uns. Sie ist eine moderne Frau, erzählt sie. Sie ist ungefähr vierunddreißig Jahre alt; wirkt aber älter als ich, die 10 Jahre mehr zählt. Sie hat nur vier Kinder. Laila ist zwölf, Gamal ist sechs, Sheila ist vier und der kleine Ismael ist zwei Jahre alt. Und mehr möchte sie nicht haben, Inshallah.
Ich sehe Isaa an. Eine starke Frau. Ihr Blick ist zugleich herzlich und hart. Sie war mir auf Anhieb sympathisch. Sie mag ihr Leben so, wie es ist. Sie kennt kein anderes. Said ist auch so aufgewachsen. Wir sind hier etwa hundertzwanzig Kilometer von M ́Hamid entfernt. Ein guter Lagerplatz Mitten im Nichts. Der Brunnen ist in der Nähe, die Piste auch.

Isaa erzählt uns von ihrem Alltag und dass ihr Mann gerade unterwegs ist, Besorgungen zu machen. Wenn er unterwegs ist zum Einkaufen, braucht er meistens vier bis zehn Tage. Meist nimmt er ein Dromedar und ein Kind mit. Mit Dromedar und Kind reitet er die ersten Kilometer, bis zu einem Teil der Strecke, wo manchmal Fahrzeuge vorbeikommen. Dann setzt er seinen Weg per Autostop fort und das Kind passt solange auf das Dromedar auf, bis er wieder zurückkommt. Ein paar Tage eben. Nicht tragisch. Ich will gar nicht wissen, wie sich das Kind nachts in der Wüste alleine im Dunkeln fühlt. Oder sehe ich das zu europäisch? Die andere Möglichkeit ist, dass er den ganzen Weg per Dromedar in die Stadt reitet. Drei Tage hin, drei Tage zurück, einen Tag einkaufen. Er kauft das, was sie in der Wüste nicht haben. Salz, Mehl, Zucker, Gemüse, Schrauben, Schmieröl und was eben gebraucht wird. Er wird in ein paar Tagen zurück sein. Said übersetzt in beide Richtungen und kommt mit den Worten kaum nach. Wir Frauen hätten einander so viel zu erzählen. Mich interessiert Isaas Alltag in der Wüste.

Ein Handy kostet etwa zweitausendfünfhundert Dirham. Das entspricht in etwa zweihundertfünfzig Euro, dem Wert einer Ziege. Die Wertkarten kosten etwa fünfzig Dirham das Stück. Wenn ein Notfall ist und man ganz schnell in die Stadt muss, wird ein Geländewagen per Handy gerufen. Aber das ist teuer. Das Geld, das aus dem Verkauf einiger Tiere anfällt, ist sicher unter dem Zelt vergraben. Sicherer als in jeder Bank.

Alle schlafen zusammen in dem Zelt. Solange die Kinder klein sind, ist das kein Problem. Sobald sie größer werden, schlafen die Kinder freiwillig lieber draußen, im Windschatten des Zeltes und in eine Decke gewickelt. Isaa macht aus ihrer Verwunderung mir gegenüber keinen Hehl. Warum ich als Europäerin so weit in die Wüste komme? Wieso ich ihr ungefragt beim Brunnen zur Hand gegangen bin? Das beschäftigt sie immer noch. Hier nervt mich die Sprachbarriere schon gewaltig. Ich werde berber lernen und zwar schnell. Wenn ich Isaas Angebot wirklich annehmen würde und ihr ein paar Monate behilflich wäre – verlockende Idee – dann spräche ich in kürzester Zeit berber ohne Probleme.

Mein Blick fällt auf die wunderschöne Holzschale, in der das Brot liegt. Sie ist aus einem großen Stück Holz geschnitzt. Ich sehe sie mir genauer an. Eher schon Kunstobjekt als Schale, zeugt sie von geschickten Händen und einem guten Auge für Proportionen und Formgebung. Ich frage nach. Ja, Isaas Mann hat diesen wunderschönen Gegenstand geschnitzt. Ja, auch die Schnitzereien auf den Zeltstützen sind von ihm. Er macht das, wenn ihm gerade langweilig ist, weil er nichts zu tun hat. Ich frage Said, ob ich es wagen darf nach dem Preis der Schüssel zu fragen. Said verneint mit einer kleinen, versteckten Handbewegung vehement. Ich blicke ihn fragend an. Sie können doch sicher das Geld brauchen. Ja, meint Said. Aber die Familie braucht vor Allem die Schale im Alltag. Worin soll Isaa denn den Brotteig kneten solange ihr Mann nach einem so großen Stück Holz sucht? Und dann noch ungefähr zwei Monate mehr, die er zum Schnitzen einer neuen Schale braucht. Ich verstehe. Seufzend.

Said fingert an einem Hosenbein herum. Ich sehe, seine Hose ist an der Innennaht aufgerissen. Er bittet Isaa nach Nadel und Faden und beginnt mit ungeschickten Fingern seine Hose zu nähen. Sein Ding sind eher Dieselmaschinen als Hosen. Es nervt ihn zusehends. Recht bald nehme ich ihm die unliebsame Tätigkeit aus der Hand und nähe die Naht innerhalb von zwei Minuten bombenfest wieder zu. Ich kann ein Ballkleid nähen. Da wird eine keine Hosennaht wohl kein Hindernis sein. Said weiß das, aber Isaa sieht mir mit offenem Mund zu. Sie sagt was zu Said und er beginnt schallend zu lachen. Ich sehe Isaa fragend an und Said übersetzt wieder hin und her. Isaa kann es zunächst gar nicht fassen, dass eine Europäerin eine Naht zunähen kann.

„Wieso?“ frage ich sie.
“Ihr Europäerinnen könnt doch selbst nicht einen Handgriff tun. Dazu habt ihr alle eure Diener.”
Nun ist es an mir, sie sprachlos vor Erstaunen anzusehen.
“ Ihr habt ja auch nichts Praktisches gelernt.” setzt sie mit Überzeugung fort.
“ Deshalb seid ihr gar nicht in der Lage zu arbeiten. Ihr liegt den ganzen Tag nur am Pool, werdet bedient und gepflegt. Darum habt ihr so glatte Haut und so schöne Fingernägel. Ihr seid ja nur dazu da, euren reichen Männern zu gefallen.”
Aha. Nun sehe ich sie erstaunt an. Welch ein Bild wir doch vermitteln. Das wird also über uns vom Personal in den Hotels erzählt. Verständlich. Deshalb sei sie ja so erstaunt, was ich denn hier mitten in der Wüste mache, ohne europäischen, reichen Mann und ihr am Brunnen helfe und Saids Hosenbein zusammennähe. Es ist einfach zu verwirrend. Ich beginne zu erklären.
In und um das Zelt tollen die Zicklein herum. Ein Teil ihres Interesses gilt auch der wunderbaren Holzschale am Tisch, in der das Brot liegt. Immer wieder lutscht ein Zicklein an einem Stück Brot herum um es dann wieder in die Holzschale zu spucken. Der Kleine greift sich das von dem Zicklein zerlutschte Stück Brot und steckt es in seinen Mund. Das wird mir dann doch zu viel. Reflexartig entfährt mir ein kleiner Schrei und ich versuche den Kleinen davon abzuhalten. Die Mutter versteht mich nicht und ich versuche ihr meinen Standpunkt von Hygiene zu erklären. Sie meint aber nur: „ Wieso? Der Keine trinkt die Milch der Ziegen. Dann dürfen doch wohl die Zicklein sein Brot essen. Oder?“ Diese auf der Hand liegende Logik hatte ich nicht bedacht. Und dem Kleinen geht es ja gut.

Die Nomaden kommen offensichtlich mit erheblich weniger Hygiene zurecht, als wir. Ihr biologisches System ist mehr abgehärtet als unseres, da sie ja von Anfang an in diesen Umständen leben. Das ist nicht unbedingt gesünder, nur härter. Ich wollte wissen, wie die Nomaden wirklich leben. So. Jetzt weiß ich es. Sprich: entweder werde ich in diesem Umfeld krank, oder ich komme mit stählerner Gesundheit und besten Abwehrkräften nach Hause.