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Der Anfang

Wir steigen aus dem Taxi. Da stehe ich nun mit meinen Louboutins im Staub des Djemaa-el-Fna, dem riesigen
Platz vor der Altstadt von Marrakech.
Ich bin keine Fashionista, nur weil ich Louboutins trage. Oder Emma Hopes. Oder Manolos. Stylishe Schuhe gehören einfach zu meinem Leben. So wie die Luft zum Atmen. Gutes Design mit intelligenten Lösungen und schöne Dinge sind mir wichtig. Stil und Eleganz in Leichtigkeit. Deshalb bin ich Designerin. Kreation ist meine Lebenseinstellung. Dort bin ich zu Hause. Meine Berufung ist es wohl, der Welt Schönheit und Freude zu bringen.
Meine Freundin Ulli hatte die gute Idee gehabt, mich aus meiner Arbeit zu reißen, um mich an diesen
einzigartigen Ort zu entführen. Sie wollte schon die längste Zeit Marokko erkunden und konnte mich mit den
unendlichen Inspirationsquellen des Orients ködern. Die virtuose Beherrschung der Geometrie, mit der die
Architekten ihre Bordüren und Kachelmuster zauberten. Die Zahlenmystik hinter der arabischen Ornamentik, all
die Düfte und Farben in den engen Gassen und Vieles mehr. Nun konnte ich es mit Händen greifen und hautnah
spüren.
Ulli reist gerne mit mir, da ich so unkompliziert bin. Sagt sie. Im Grunde bin ich für jedes bunte Abenteuer zu
begeistern. Und ich komme immer auf spontane Ideen. Noch dazu habe ich „Häuserglück“. Das stimmt! Die
interessantesten und schönsten Häuser öffnen mir mit ihren Menschen ihre Pforten. Das geschieht einfach so. Ich
kann es manchmal selbst kaum fassen. Ulli und ich haben immer viel Spaß zusammen. Wir lieben die Welt,
lachen viel und sind zusammen an Improvisation kaum zu überbieten. Vor allem, was den Genuss des Lebens
anbelangt. Dabei geht es uns nicht unbedingt um den teuren Schnickschnack, der natürlich auch Spaß macht.
Sondern um schöne Momente, beeindruckende Landschaften, uns unbekannte Geschmäcker, überraschende
Begegnungen. Die Neugier auf das Leben begeistert uns. So kamen wir als Touristinnen. Voller Vorfreude auf
zwei Wochen Ferien in der warmen Sonne, fern vom europäischen Winter. Zwei Freundinnen unterwegs.
Nie hätte ich vermutet, dass mich dieses Land so packen würde. So unter meine Haut kriechen konnte, dass ich
es genauer wissen musste. Ich will dieses Land ergründen. Den Menschen begegnen und bleibe erstaunt, mit
welchem Reichtum meine Neugier belohnt wird.
Immer noch!
Der Djemaa-el-Fna hat sich, wie jeden Abend, zu einer riesigen Garküche aus Tausend und einer Nacht
verwandelt. Essen wohin das Auge reicht, Menschen in allen Farben und großer Zahl, wabernde Nebelschwaden
aus duftenden Töpfen, verschlungene Klänge aus den Schalmeien der Schlangenbeschwörer, bucklige
Geschichtenerzähler, Wahrsagerinnen im Schein ihrer Lagerfeuer….
Wir sind überwältigt.
Ulli hat sich noch von Wien aus zu einem Kochkurs für marokkanische Küche angemeldet. So wie ich in der
Welt des Designs aufgehe, sind ihr die Welt der Geschmäcker und die der Fotografie wichtig. Sie ist ganz Mund
und Auge. Voller Feuer und Flamme freut sie sich auf den Moment, den anderen der Gruppe zu begegnen.
Kochbegeisterte Leute aus aller Welt treffen sich hier um einen ganzen Tag lang die marokkanische Küche zu
studieren, zu kochen und zu genießen. Allein der Markt ist schon ein Abenteuer für sich. Mit der kundigen
Holländerin, die den Kurs veranstaltet, ziehen wir von einem Stand zum nächsten um zu kosten und zu staunen.
Mareike ist am ganzen Markt bekannt wie ein bunter Hund. Sie kennt alle persönlich, weiß genau, was wo zu
finden ist und kann zu jeder Frage eine Anekdote erzählen. So lüftet der Souk der Altstadt von einem
verborgenen Winkel zum nächsten seine Geheimnisse. Mit all den für uns Europäern teils unbekannten
Köstlichkeiten, die der Markt hergibt, geht es in die riesige und erstaunlich moderne Küche von Mareike, die
trotzdem die Exotik des Orient widerspiegelt. Mareike zeigt uns, wie traditionell marokkanisch gekocht wird.
Alle versinken mit den betörenden Düften in den Töpfen und Tagines.
Doch mich zieht es weiter zu meinem nächsten Abenteuer. Ich überlasse die anderen den Kochkünsten und will
unbedingt mehr wissen über die Häuser in den kleinen verwinkelten Gassen mit den massiven, durchgehend
rötlichen Wänden. Und was sich dahinter verbirgt. Als Orientierungshilfe nutzte ich meine Intuition als Kompass
und eher nebenbei den Stadtplan als Übersicht. Ich lasse mich durch die Gassen treiben. Öffne alle Schleusen
meiner Wahrnehmung und lasse die Eindrücke auf mich nieder prasseln. Alles und Jedes kann meine
Aufmerksamkeit auch nur einen Augenblick lang erregen und ich entscheide intuitiv, ob ich diesem Wink folge
oder nicht. Ich nenne diesen Modus „ Making Love to a City“. So lerne ich die Städte kennen. Der Hauch eines
Duftes hier, dort huscht ein Lichtreflex über einen Schatten, ein Geräusch von oben, die Farbe der zu Konen
aufgetürmten Gewürze, eine kleine Gasse, menschenleer und hell, eine riesige Doppeltür aus Messing sehr
detailreich verziert. Ich versinke im Anblick dieser Tür und folge den verschlungenen geometrischen Linien des
arabischen Kunsthandwerks. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie ein kleiner, verschrumpelter alter Mann
mich beobachtet. Er sitzt auf seinem Sessel mitten in der Gasse und ich spüre seinen Blick scharf im Rücken.
Mit einem Ruck drehe ich mich um und funkele ihn böse an. Er schenkt mir das breiteste zahnlose Grinsen und
ich bin völlig entwaffnet. Eigentlich sitzt er gar nicht so mitten in der Gasse. Neben ihm bemerke ich eine
unscheinbare Tür. Meine Neugier zieht mich hin. Ein Innenhof ganz aus weißem Marmor, in den Treppen
hinunter führen. Der alte Mann deutet mir, ich könne hineingehen. Am Fuße der Treppen die nächste Tür. Auch
eher klein und unscheinbar. Drinnen ein riesiger Raum. Die Wände teilweise kunstvoll bemalt oder wie mit
einem ganz zarten, samtenen Marmor überzogen. Ach ja! Das muss wohl der berühmte marokkanische Tadelakt
sein. Ähnlich wie der venezianische Stucco Lustro lässt er die Wände sinnlich wie Haut glänzen. Der Boden aus
Mosaik. Von der verzierten Kuppel, die sich in eindrucksvoller Größe über den ganzen Raum spannt, hängt der
größte Luster, den ich je gesehen habe. Antike Bodenvasen aus Alabaster stehen aufgereiht, ziselierte Palasttüren
aus vergangenen Jahrhunderten lehnen an den Wänden, schimmernde Tongefäße mit Metallverzierungen füllen
die Ecken des Raumes. Ein wertvoller Teppich zieht mich in seinen Bann. Da ich in dritter Generation Teppiche
sammle, weiß ich, was da vor mir liegt. Wo bin ich hier gelandet? In Ali Baba`s Höhle? Mit offener Tür? Kaum
habe ich mich zu dem Teppich niedergekniet, kommt ein Paar gepflegter Schuhe in mein Blickfeld. Männliche
Schuhe. Mein Blick gleitet an einem stilvollen Mann hinauf. Er sieht mich an mit freundlichem Blick, weißen
Haaren und einem eleganten Barett aus anthrazitfarbenem Persianer. Seine Haltung edel, sein Gesicht fein
geschnitten, seine Bewegungen voller Grazie. Er stellt sich mir als Ali vor und lädt mich ein, zu einem Tee zu
bleiben. Ich folge ihm tiefer in diesen unterirdischen Palast. Vorbei an weiteren ausgesuchten Schönheiten, als
hätte er den gesamten Orient hier versammelt. Wir setzen uns an einen Tisch mit Intarsien und ich frage ihn, wo
ich denn hier gelandet sei.
„In meinem Lager“
„In ihrem was? Das ist ein Lager? Sieht eher nach einem unterirdischem Palast aus.“
„Ist es auch.“

Ein reicher Kaufmann wollte in Ruhe seine Reichtümer genießen und hatte sich zu ebener Erde eine schöne
Villa bauen lassen. Den Palast aber hatte er einen Stock tiefer in den Keller gelegt, damit man ihn von außen
nicht sehen konnte. Über die Jahrhunderte hatte dieses erstaunliche Haus öfter die Besitzer gewechselt und war
schließlich von einem von Ali´s Vorfahren gekauft worden. Die Familie lebte einige Zeit hier, bis sich die Frage
stellte, ob dieses Haus aufwendig renoviert werden sollte oder ob es praktischer wäre, eine neue Villa zu bauen.
Die neue Villa wurde gebaut und diese Pracht mutierte zum Lager. Vom Rennpferd zum Ackergaul.
Ich lasse den Raum weiter auf mich wirken und horche eine Weile den Geschichten, die mir die Wände erzählen.
Dann wird es wieder interessanter Ali zuzuhören. Er reiht sich in eine lange Tradition von Kaufleuten. Er selbst
wollte Medizin studieren, doch als ältester Sohn hatte er das Geschäft zu übernehmen. Er hatte die Wahl,
entweder seinen Traum zu leben und damit seiner jungen Familie einige Zeit der Armut zuzumuten oder den
Weg des geringeren Widerstandes zu wählen. Er fügte sich der Tradition.
„Tut ihnen das nicht ab und zu Leid?“ frage ich ihn.
„Nein“ meint er und seine Augen bekommen für einen Moment einen traurigen Ausdruck.
„Das Strahlen der Augen meiner Frau war mir das Wert.“
Der Souk der Medina in Marrakesch ist seit Generationen in den Händen einiger weniger Familien. Eine davon
ist seine Familie. Ali lässt mir noch mehr erstaunliche Schätze aus seinem Lager vorführen und fragt mich
anschließend, ob er mich durch die Medina führen dürfe. Ich willige mit Freude ein. Welch ein Glück!
Auf der Straße angekommen, stehen wir wieder vor der großen, reich verzierten Messingtür, die mich schon
vorher so fasziniert hatte.
„Was ist hinter dieser prachtvollen Tür?“
„Meine Nachbarn. Eine Maison d´Hôtes. In diesen Breiten die charmante Art des Bed and Breakfast. Diese Tür
ist übrigens aus dem 18. Jahrhundert. Schöne Arbeit. Vielleicht sind sie da.“
Und bevor ich noch was sagen kann, hat er schon geläutet. Ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll oder ob es mir
peinlich ist, einfach in ein fremdes Haus zu platzen. Da öffnet sich auch schon die Tür. Freundliche Begrüßung
und wir stehen in einem Patio. Ich sehe mich um. Patio ist hier wohl untertrieben. Offensichtlich sind zwei
Riads, traditionelle marokkanische Villen, miteinander verbunden. Der sonst übliche Patio hat sich durch die
Zusammenlegung in einen märchenhaften Garten mit einladendem Pool verwandelt. Ich werde durch das Haus
geführt. Vielleicht erwartet sich die Hausherrin, dass ich sofort unser Zimmer in dem kleinen Hotel storniere und
hierher umziehe. Das wäre gar keine schlechte Idee… Oder sie ist einfach nur stolz auf ihr Haus. Zu Recht! Das
Haus ist umwerfend. Weitläufig und gemütlich zugleich. Mit ausgesuchten Gegenständen des marokkanischen
Kunsthandwerkes eingerichtet. Geprägtes Leder, feine Holzschnitzereien, bunte Mosaike, gewebte Teppiche an
den Wänden und auf den Böden. Wundervolle Lampen aus kunstvoll gelöcherten Metallformen, die
phantastische Schatten werfen. Alles hier erzählt seine Geschichte. Licht und Dunkel sind ausgewogen, das
Raumgefühl ist angenehm. Die Details sind liebevoll ausgesucht und ideenreich gestaltet. Aus dem hauseigenen
Hammam mit grün – goldenem Mosaik will ich gar nicht mehr raus. Dies ist ein wirklich elegantes Heim.
Draußen in den Gassen tobt der Alltag. Hier drinnen ist es ruhig. Ich gehe hinauf auf eine der Terrassen und blicke über die Dächer und Palmen der Stadt hinweg bis zum Atlas, dessen schneebedeckte Gipfel mir durch den blauen Dunst zuwinken. Ein Lächeln breitet sich in mir aus. Es ist so schön hier…