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Die Begegnung

Die Wüstenstadt Ait-Ben-Haddou, jeder Berg, jeder Stein, jede Aussicht sind für uns interessant. So interessant,
dass wir sechs Stunden später als erwartet in M´Hamid an dem vereinbarten Treffpunkt mit unserem
Kamelführer ankommen. Ulli hatte mir bei der Reiseplanung ein kleines Detail verschwiegen…. Sie weiß, dass
ich seit Jahren ein Wüstenfreak bin. Oft habe ich den Sinai bereist und war meist alleine und zu Fuß tagelang in
der Wüste unterwegs. Meine Erzählungen haben sie immer wieder fasziniert. Sie wollte einmal gemeinsam mit
mir die große Stille hören und das Alleinsein so eines Abenteuers kosten. Letztendlich war ihr die Wüste aber
doch zu groß, zu weit, zu heiß, zu unheimlich, zu…. zu. So komme ich in den Genuss eines touristisch adrett
organisierten kleinen Wüstenausflugs von zwei halben Tagen. Überraschung…… Ich bin wirklich stink sauer!
Zu allem Überfluss heißt uns der Kamelführer in recht ruppigem Ton, uns jetzt schnell auf die Dromedare zu
schwingen, um noch vor der Dunkelheit das Touristencamp zu erreichen. Ich sehe mich nach einem freien
Dromedar um. Ulli sitzt bereits lächelnd auf ihrem. Mir bleibt nur mehr das mit all den Taschen, Körben und
dem Proviant bepackte. Na toll!
Ich stapfe wütend auf das Packdromedar zu, um als x-tes Gepäckstück auf seinem Höcker Platz zu nehmen. Das
Dromedar sitzt da und sieht mich an. Zielgerichtet. Offensichtlich nimmt es meine Wut persönlich. Denn als ich
aufsteigen will, den einen Fuß schon zwischen den Gepäckstücken verstaut habe und der andere Fuß noch fest
am Boden steht – steht mein Dromedar auf. Dromedare haben ein Stockmaß von etwa zwei Metern. Darüber
türmt sich der Höcker und das Gepäck. Ich falle. Tief. Im Sturz, starr vor Schreck, werfe ich einen angstvollen
Blick ins Universum.
Mein Blick trifft Said völlig unerwartet und erschüttert ihn in seinen Grundfesten. Er war zufällig zu dieser Zeit
an diesen Ort gekommen, um sein Dromedar zu tränken.
Er sieht meinen Fall, meinen Blick und will mich auffangen. Nur leider zu spät. Der Aufprall ist hart.
Ich stehe auf, klopfte mir den Sand aus meinen Sachen, um wieder auf mein Dromedar zu steigen. Diesmal
bleibt es zum Glück sitzen.
Said sieht mich an. „ Du reitest, oder?“
Ich antworte in tiefdunkle Augen „ Ja, auf Pferden. Die sind irgendwie… übersichtlich.“
Wir ziehen los. Said kommt mit, gleich neben meinem Packdromedar. Den ganzen Weg.
Ich will mich mit meinem edlen Retter unterhalten, der aber sagt nichts. Kein Wort. Na gut. So sehe ich ihn mir
genauer an.
Er führt mein Dromedar mit sicherer Hand an einem durch den Nasenring gezogenen Seil. Er geht etwas vor
meinem „Sattel“ aus Taschen und Körben, so sehe ich ihn nur von hinten. Sein Gang ist federnd und sehr
aufrecht. Leichtfüßig. Er ist hoch gewachsen und filiform. Er trägt einen indigofarbenen Chech, den
Wüstenturban, dessen letzte Stoffbahn immer den Großteil seines Gesichtes verdeckt. Nur seine strahlend
braunen, mandelförmigen Augen bleiben sichtbar. Eine Sandfarbene Galabiya, ein langer Kaftan mit spärlichen
Verzierungen, vollendet sein Outfit. Seine Erscheinung ist durch und durch elegant. Und seine ganz eigene Art,
den Kopf zu halten, gibt ihm etwas Erhabenes. Kurz: er hat die Erscheinung eines Wüstenprinzen.

Nach gefühlten zehn Stunden kommen wir in der einsetzenden Dunkelheit im Camp an und ich hoffe auf die
Stille der Dünen. Aber weit gefehlt! Das ist ein Touristencamp.
Ich suchte mir trotzdem ein so-weit-wie-möglich entferntes Plätzchen um meine Wut wenn schon nicht in die
Stille, so doch wenigstens in die Weite der Wüste ziehen zu lassen und versinke in Meditation. Als ich wieder
zur Erde komme, räuspert sich jemand neben mir in der inzwischen völligen Dunkelheit. Ich erschrecke zutiefst.
Es ist Said mit zwei Gläsern köstlichem Minztee. Nun will er sich mit mir unterhalten.
Viel später erzählt er mir, dass er, nachdem ihn mein Blick erschüttert hatte, eine Weile kein Wort sprechen
konnte.
Wir sprechen lange. Ich bin beeindruckt von der natürlichen Brillanz seiner Gedanken, seiner unglaublichen
Güte und Menschlichkeit. Ich bin noch nie auf all meinen Reisen einem so schönen Menschen begegnet. So pur
und mit einer so klaren Präsenz. Durch ihn wird mir in diesem Moment bewusst, das der normale
Aggregatszustand eines Menschen freundlich, offen und gütig ist. So, wie wir als kleine Kinder sind. Alles
andere ist krank.
Said ist neugierig auf all die Menschen, die in die Wüste zu Besuch kommen. Allerdings versteht er sie nicht.
Said erzählt mir, dass viele Menschen aus meiner Welt in seinen Augen so gehetzt und aus sich selbst heraus
gefallen wirken. So verloren. Warum das denn so wäre? Ob wir denn in Europa oder in Amerika von so vielen
Feinden verfolgt würden? Sein großer Traum ist, die Menschen durch das Wandern in der Stille der Wüste
wieder mit sich selbst in Einklang zu bringen und wieder zu sich selbst zurück zu führen. Er will den Menschen
helfen. Das ist ihm ganz wichtig.
Er selbst ist hier in der Wüste geboren. Irgendwo am Weg. Es war während eines extrem heißen Sommers, sagt
seine Mutter. Irgendwann. Wann genau, in welchem Jahr, weiß er nicht. Seine Familie auch nicht. Wozu auch?
Man wird geboren und man stirbt. Die Zeit dazwischen ist das Leben.
„Warum ist euch euer Geburtstag so wichtig? Und warum zählt ihr die Zeit? “ fragt er mich, da es ihm
vollkommen unverständlich ist aus einem Geburtstag einen Festtag zu machen.
Seine Familie, eine Nomadenfamilie. Vater, Mutter, die Kinder, Ziegen und Dromedare.
Er selbst hat zehn Geschwister und das ist völlig normal. Ich frage ihn, ob alle seine Geschwister von ein und
derselben Mutter seien. Er sieht mich an, als hätte ich die dümmste aller Fragen gestellt und sagt „ Ja, klar. Wir
sind Nomaden. Berber. Keine Araber. Wir haben nur eine Frau. Meine älteste Schwester wird so um die Mitte
vierzig sein und mein jüngster Bruder ist zirka elf. Geht doch.“
„ Und wie alt ist deine Mutter?“ „So um die Anfang sechzig. Oder so.“
Da wir schon beim Thema sind, frage ich ihn, wie denn das so sei mit den Geburten mitten in der Wüste und
Geburtshilfe. „ Hilfe? Warum? Wenn die Frau merkt, dass ihr Kind kommt, entfernt sie sich etwas von ihrem
Mann und ihren anderen Kindern und gebiert alleine. Die Ziegen und die Dromedare tun das doch auch.“
„Ahso. Klar. Und wenn es ein Problem gibt?“
„ Entweder es geht gut, Inshallah, oder sie sterben. Dann ist es traurig.“
Aha.
Es wird spät und ich sollte zurück zu den anderen Touristen. Das Abendessen wird im Zelt aufgetischt. Duftende
Tagines offenbaren ihre Aromen. Karotten, gelbe Rüben und Erbsen vereinen sich mit getrockneten Feigen und
Rosinen, die wunderbar den Geschmack der Fleischstücke ergänzen. Die orientalischen Gewürzmischungen
runden die Kompositionen ab. Wir greifen herzhaft zu. Der Genuss ist uns allen anzusehen. Und die Jungs, die
uns im Camp versorgen, haben ehrliche Freude an unserem guten Appetit. An der großen Tafel sprechen wir all unsere Sprachen quer durcheinander, lachend und ohne Verständigungsschwierigkeiten. Französisch, berber,
deutsch, spanisch, arabisch, englisch, flämisch. Die einen erzählen von ihrer Art, dieses Land zu bereisen, die
anderen wie es ist, hier zu leben. Zuhören, Mimik und manchmal ganz international mit Händen und Füßen.
Alles kein Problem.
Nach dem obligaten Lagerfeuer fallen alle in ihre Schlafsäcke in den Zelten. Doch mich locken die nun endlich
einsetzende Stille der Wüste und die Weite der Sterne. Deshalb möchte ich unter freiem Himmel schlafen. Ich
gehe ein paar Dünen weiter, was in der Dunkelheit nicht sehr klug ist. Doch der Mond ist angeknipst und
leuchtet wie eine Laterne. Als Said das bemerkt, zaubert er aus dem Nichts eine Matratze herbei. Sogar einen
Polster hat er aufgetrieben. Ich muss nur mehr meinen Schlafsack drauflegen und bin sprachlos angesichts
meines luxuriösen Bettes mitten in der Wüste. Das hatte ich noch nie! Ich kuschle mich in meinen warmen
Schlafsack und mümmle mich ganz hinein. Nur mein Gesicht bleibt draußen. In der Wüste wird es im Winter
nächtens sehr kalt. Sobald die Sonne weg ist, sinken die Temperaturen rasant bis zum Gefrierpunkt. Was mir den
Traum beschert, den verschneiten Mont Blanc mitten im Gesicht zu haben. Meine Nase verwandelt sich in einen
Eisberg.
Der kommende Morgen führt uns zu unserem Ausgangspunkt zurück. Dort hat Said sein Dromedar
untergebracht. Es ist kein durchschnittliches Packtier, sondern ein Renndromedar. Noch dazu ein wirklich
hübsches. Mit diesem Tier hat Said schon einige Rennen gewonnen. Sozusagen sein Porsche. Sein ganzer Stolz!
„Möchtest Du einmal auf einem schnellen Dromedar reiten?“
„Na sicher!“
Er lässt mich aufsteigen und führt uns ein Stück von den neugierigen Blicken der anderen Nomaden weg. Eine
Touristin auf einem Renndromedar? Undenkbar!
Außer Sichtweite der anderen fragt er mich sehr respektvoll, ob er vor mir aufsitzen dürfe. Ich willige natürlich
ein, da ich noch keine Ahnung habe, wie man ein Dromedar wirklich reitet. Er erklärt mir alles und steigt wieder
ab. Der Porsche galoppiert los. Es ist wie fliegen! Mit dem Wind um die Ohren segele ich auf weich gepolsterten
Hufen über den Sandboden. Ich fühle mich wie im Himmel. Nach einiger Zeit dämmert mir der Gedanke, wie
ich denn nun umdrehen könnte. Das Dromedar scheint den gleichen Gedanken zu haben und läuft einfach wieder
zurück. Welch ein Glück!
Said führt mich zum Auto zurück, Ulli und ich fahren los. Zuvor habe ich ihm noch meine letzte Visitenkarte
gegeben. Er meint, dass die zwei Planeten, auf denen wir leben, doch durch Internet verbunden sind. Wie wahr.
Inzwischen liegt Silvester schon auf der Lauer und wir fahren nach der eisigen Nacht im Sand beschwingt
Richtung heißer Dusche.